Meine Zeit - Bildungszeit
"Jeder hat das Recht auf Bildung (...)" so heißt es in Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Kaum zu glauben, aber wahr: Was sich in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte so leicht liest, ist in der praktischen Umsetzung äußerst zäh. Selbst in einer modernen Demokratie, selbst in Deutschland. Denn noch immer gibt es keinen flächendeckenden Rechtsanspruch zur Bildungsfreistellung der Beschäftigten.
Über vierzig Jahre sind vergangen, seit die ersten Bundesländer Freistellungsgesetze für ihre Arbeitnehmer(innen) beschlossen haben. Noch
immer gibt es keinen flächendeckenden Freistellungsanspruch.
Aber es gibt Bewegung in der Sache: Seit Mitte 2015 gilt in Baden-Württemberg das "Bildungszeitgesetz" und in Thüringen seit Beginn 2016 das "Bildungsfreistellungsgesetz". Dann werden nur noch die beiden "fortschrittlichen" Freistaaten Bayern und Sachsen ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Weiterbildungsmöglichkeiten verwehren.
Warum gibt es kein Gesetz auf Bundesebene?'
Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) hat 1974 das "Übereinkommen 140 über den bezahlten Bildungsurlaub" mit Bezug auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte beschlossen. Deutschland hat dieses Abkommen ratifiziert und sich damit zur Einführung einer bezahlten Bildungsfreistellung verpflichtet.
Doch der Bund blieb untätig. Deshalb haben seitdem immerhin dreizehn Bundesländer ein eigenes Gesetz erlassen. Meist gegen den Widerstand der Arbeitgeber. In Hessen und NRW legten sie sogar Verfassungsklage ein. Allerdings ohne Erfolg: Die Freistellungsgesetze wurden als verfassungskonform beurteilt. Sie dienen dem Gemeinwohl - und damit auch dem Wohl der Unternehmen. Dafür müssten auch sie einen Beitrag leisten, und zwar in Form der Entgeltfortzahlung.
Aber wenn es ums Geld geht, scheint es mit der Verfassungstreue mancher Arbeitgeber nicht so weit her zu sein: Insbesondere in NRW stritten die Unternehmer gegen den Rechtsanspruch der Arbeitnehmer(innen). Zwei Drittel aller Gerichtsverfahren wurden dort bestritten. Fast 90 Prozent aller BAG-Entscheide zur Bildungsfreistellung hatten dort ihren Ursprung.
Den Wert der Bildungsfreistellung erkennen
Für Arbeitnehmer(innen) stellen Bildungsfreistellungsgesetze oft die einzige Möglichkeit dar, sich weiterzubilden. Ob berufliche oder politische Weiterbildung - beides ist für die Arbeitnehmer(innen), für die Gesellschaft und für die Unternehmen von Vorteil.
Nur selbstbewusste, gebildete und gut qualifizierte Arbeitnehmer(innen) sind beruflich handlungsfähig und flexibel. Das liegt nicht nur, aber eben auch im Interesse der Unternehmen. Nur politisch gebildete Menschen sind in der Lage, den Wert der Demokratie und ihre eigene Stellung in ihr zu verorten. Auch das liegt nicht nur, aber eben auch im Interesse der Unternehmen.
Letzte Änderung: 28.10.2016