Mitbestimmung - eine Erfolgsgeschichte
Mitbestimmung im Betrieb und bei Unternehmensentscheidungen - diese Forderung hat die Gewerkschaften seit jeher bewegt. Einiges ist erreicht worden. Notwendig ist es jetzt, die Mitbestimmung auszubauen und den Beschäftigten mehr individuelle Beteiligung zu ermöglichen.
Arbeitnehmer verbringen einen großen Teil des Tages am Arbeitsplatz. Sie holen Aufträge ein, entwickeln Produkte, stoßen Arbeitsprozesse an, prüfen Ergebnisse und noch vieles mehr. Ohne sie würde niemals ein Produkt den Betrieb je verlassen. Auch viele kreative Ideen, Vorschläge, Impulse und Hinweise kommen aus den Belegschaften. Das zahlt sich aus - diese Erfahrung machen viele Unternehmen.
Stationen der Mitbestimmung
Die Forderung nach Mitbestimmung ist so alt wie die IG Metall: 1891 setzen die Arbeitnehmer eine Novelle zur Gewerbeordnung für das Deutsche Reich durch, das die Bildung von Arbeiterausschüssen ermöglicht. 1920 kam das Betriebsrätegesetz und 1922 folgte das Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in die Aufsichtsräte der Kapitalgesellschaften. 1933 zerschlagen die Nazis die Gewerkschaften und damit die Mitbestimmung. Nach Ende des Krieges und der Nazi-Diktatur kommt 1946 das Betriebsrätegesetz des Alliierten Kontrollrats. 1951 folgt die Mitbestimmung für die Montanunternehmen, also für Betriebe, die Kohle-, Stahl- und andere Bodenschätze gewinnen und verarbeiten. Dieses Gesetz hat bis heute die weitreichendsten Mitbestimmungsmöglichkeiten.
Die Montanmitbestimmung
"Es ist nicht einfach nur ein Gesetz", erklärt Klaus Hering, Betriebsratsvorsitzender bei Arcelor Mittal in Bremen. Die Montanmitbestimmung schafft eine ganz besondere Betriebskultur: "Wir leben hier ein anderes Miteinander. Unsere Position hat Gewicht - bis in die obersten Entscheidungsebenen hinein. Unsere Mitsprache geht weiter als in anderen Unternehmen oder Ländern." Das erklärt der Betriebsrat, der auch Aufsichtsratsmitglied ist und gleichzeitig dem Präsidium des Aufsichtsrates angehört.
"Ziel ist es immer, zu einer konstruktiven Lösung zu kommen - egal um was es geht", sagt Hering. Und das sei der entscheidende Unterschied zu anderen Unternehmen und anderen Ländern. Hering berichtet von seiner Zusammenarbeit mit belgischen und französischen Kollegen im europäischen Betriebsrat, wo keine vergleichbaren Gesetze gelten. Wenn sie etwas durchsetzen wollen, können sie nur streiken und "Reifen anzünden", erklärt der 56-Jährige Betriebsrat, der zugleich im Europäischen Betriebsrat mitarbeitet und die Situation in diesen Ländern kennt. Seinen Kollegen aus dem Ausland dauern die Diskussionsprozesse in Deutschland oft zu lange, "aber dann sind sie positiv von der Stabilität der Ergebnisse überrascht", so Hering.
In den Unternehmen mit Montanmitbestimmung haben Arbeitnehmern sehr weitreichende Mitsprachemöglichkeiten, aber sie tragen auch Verantwortung. Sie können sich nicht aus unangenehmen Entscheidungen herauswinden, sagt Hering. Auch kommt es vor, dass Betriebsrat und Unternehmensvertreter Seite an Seite zu Aktionen aufrufen. Wie beispielsweise im April beim Stahlaktionstag, als es um den Kampf gegen die asiatische Dumping-Konkurrenz und die CO2-Auflagen aus Brüssel ging.
Das Betriebsverfassungsgesetz
Wirkliche Mitbestimmung sollte auch in der übrigen Wirtschaft gelten - dieses Ziel verfolgen die Gewerkschaften 1952 in der Auseinandersetzung um ein "fortschrittliches Betriebsverfassungsgesetz". Dafür kämpfen sie mit Kundgebungen und Warnstreiks. Doch die Arbeitgeber setzten sich bei der Adenauer-Regierung durch. Am 19. Juni 1952 kommt das neue Betriebsverfassungsgesetz: Aufsichtsräte müssen nur zu einem Drittel mit Arbeitnehmern besetzt werden. Betriebsräte können lediglich in sozialen und personellen Fragen mitreden. Nur bei VW konnte 1960 eine weitreichende Mitbestimmung gesetzlich erreicht werden.
Erst 1972 - unter der sozial-liberalen Regierung Willi Brandts - bringt die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes mehr Rechte für Arbeitnehmer und Betriebsräte. Trotzdem bleiben die Einwirkungsmöglichkeiten weit hinter der Montanmitbestimmung und dem VW-Gesetz zurück. "Die Krux ist, dass wir Betriebsräte bei wirtschaftlichen Fragen keine Mitbestimmung haben", bedauert Michael Hellriegel, Betriebsratsvorsitzender von Siemens in Leipzig. Trotzdem hat der Betriebsrat dort verhindert, dass die Produktion der Niederspannungsschaltanlagen nach Portugal verlagert wird.
Entscheidend für diesen Erfolg war, so Hellriegel, die gemeinsame Entwicklung eines Alternativkonzepts durch den Betriebsrat und die IG Metall, das begleitet durch öffentliche Aktionen und Beteiligung der Belegschaft letztlich auch die Geschäftsleitung überzeugte. "Es nutzen die besten Ideen nichts, wenn man es nicht schafft, die Leute auf die Straße zu bringen", sagt Hellriegel. Und das ist der Interessenvertretung des Leipziger Werks gelungen.
Das 76-er Mitbestimmungsgesetz
Ein besonderer Meilenstein ist das Mitbestimmungsgesetz aus dem Jahr 1976. Es gilt aber nur für Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten. Gegen den heftigen Widerstand der Arbeitgeber konnte die Mitbestimmung erweitert werden. Allerdings hat bei Stimmengleichheit der Vorsitzende des Aufsichtsrats eine Doppelstimme. Damit ist echte Parität nicht gegeben.
Während der Finanzkrise 2008/09 hat sich die Mitbestimmung als Erfolgsfaktor erwiesen. Trotzdem versuchen Unternehmen immer wieder die Mitbestimmung zu umgehen. Sie ändern die Rechtsform, lagern aus, nutzen Leiharbeit und Werkverträge. Das sind nur einige Strategien, mit denen Unternehmen die Mitbestimmung der Beschäftigten umgehen wollen. Deshalb ist die Sicherung und Weiterentwicklung der Mitbestimmung eine vorrangige Aufgabe.
Beschäftigte, Betriebsräte und Gewerkschaften haben sich die Mitbestimmung hart erkämpft. Sie verleiht ihnen eine Stimme in ihren Unternehmen und sie schafft einen Dialog zwischen Beschäftigten und Unternehmensleitung. Das wird immer wichtiger, gerade angesichts der anstehenden Veränderungen in der Arbeitswelt. Deshalb ist es höchste Zeit für mehr Mitbestimmung und Beteiligung für Beschäftigte - rund um alle Fragen der Arbeit.
Letzte Änderung: 03.07.2016