Klartext

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28.10.2010 Der neue "Klartext" fragt, ob die günstige wirtschaftliche Entwicklung in Deuschland tatsächlich zu einem "Jobwunder" führt.

Jobrotation statt Jobwunder?

Der Wirtschaftsminister sieht den deutschen Arbeitsmarkt dank XL Aufschwung auf dem Weg vom Sorgenkind zum Musterschüler. Wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) erwartet auch Brüderle 290.000 neue Arbeitsplätze für 2011. Wachstumsprognosen von 3,4 Prozent für dieses und 1,8 Prozent für nächstes Jahr wecken bei ihm Erinnerungen an den Wiedervereinigungsboom. Aber bei aller Euphorie: Derzeit sehen wir nur erste Schritte aus dem tiefsten Konjunkturtal seit 80 Jahren. Und über die Qualität des Jobwunders schweigen sich Bundesregierung und DIHK aus.

Dank des Exportbooms hat die deutsche Wirtschaft im II. Quartal 2010 das Vorkrisenniveau erreicht. Aber wie geht es weiter? Die Industrie fürchtet eine Abkühlung der Weltwirtschaft (Rezession in den USA, Immobilienblase in China, Probleme in der Eurozone). Der DIHK vertraut jedoch auf den deutschen Investitions-, Beschäftigungs- und Konsumzyklus und rechnet für 2011 mit 2,4 Prozent Wachstum - wohlwissend, dass die Staatsausgaben dann nur noch um 1 Prozent steigen werden, weil die Konjunkturprogramme auslaufen. Dafür sollen wir uns alle dem Kaufrausch hingeben: + 2,4 Prozent - na dann Prost. Da muss der Schluck aus der "Lohnpulle" schon kräftig sein.

Der DIHK sieht zudem die Investitionsplanungen der Unternehmen nah am Rekordniveau von 2007. Im Fahrzeugbau, bei den Metallerzeugern und in der Elektrotechnik werde über Kapazitätsausweitungen nachgedacht. Schön, wenn die Wirtschaft nach der Finanzkrise reale Investitionen in Deutschland wiederentdeckt. Denn wir zehren seit Jahren von der Substanz. Die Nettoinvestitionsquote betrug in Deutschland vor zehn Jahren noch 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - 2009 lag sie bei 1,9 Prozent. Die genannten Bereiche sind jedoch das Herz der deutschen Exportindustrie. Der Binnenmarkt profitiert von diesen Investitionen wenig.

Trotz jetzt prognostizierter Mehreinnahmen von 30 Milliarden Euro in 2010 und 2011 bleibt die Regierung bei Sparpaket und Schuldenbremse. Also alles in die Haushaltskonsolidierung oder gar Steuersenkungen, statt die Kommunen finanziell zu entlasten sowie in Bildung und ökologischen Umbau zu investieren? Aber wer will noch den neoliberal-schlanken Staat, den sich nur die Reichen leisten können? Franzosen und Briten offensichtlich nicht. Und auch in Deutschland erwarten wir jetzt gutbezahlte öffentliche Dienste, Infrastrukturausbau mit Augenmaß, Renten ohne Altersarmut und gute Arbeit für gutes Geld.

Das viel gelobte deutsche Jobwunder wurde möglich, weil Arbeitszeitkonten, Kurzarbeit und die aktive Arbeitsmarktpolitik intensiv genutzt wurden. Oft wurden erhebliche Einkommenseinbußen hingenommen. Da kommt Unmut auf, wenn der Niedriglohnsektor wieder wächst. 300.000 neue Jobs sind schon seit Mai 2009 entstanden, aber fast nur in der Leiharbeit. Wenn gerade jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nur der prekäre Einstieg in die Arbeitswelt über Praktika, Leiharbeit oder befristete Jobs bleibt - wenn also aus dem Jobwunder die Jobrotation wird - dann können Jobprognosen aus Unmut Zorn machen.

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Klartext 33/2010

Klartext 33/2010

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Letzte Änderung: 26.10.2010